Novellierung des Hessischen Bildungsurlaubsgesetzes
24. November 2022
24. November 2022
Liebe Bildungs-Interessierte,
am 1. Januar 2023 tritt das neue Hessische Gesetz über den Anspruch auf Bildungsurlaub (HBUG) in Kraft. Eine wichtige Änderung ist, dass zukünftig hybride oder vollständige Online-Formate möglich sein werden. Das ver.di Bildungswerk Hessen e.V. war bei der öffentlichen mündlichen Anhörung des Sozial- und Integrationspolitischen Ausschusses des Hessischen Landtags zu Gesetzentwürfen zur Novellierung des Hessischen Bildungsurlaubsgesetzes dabei und hat unter anderem zu diesem Punkt eine Stellungnahme abgegeben.
Wir sprachen uns grundsätzlich für die Ermöglichung digitaler Veranstaltungsformate aus. Die Möglichkeit des Einsatzes digitaler Lehr- und Lernformen entspricht den in den letzten Jahren gewonnenen positiven Erfahrungen sowohl der Anbieter und Seminarleitungen als auch der Teilnehmenden von Bildungsangeboten. Insbesondere die örtliche Unabhängigkeit durch digitale Formate kann die Wahrnehmungsmöglichkeit von Bildungsurlauben erhöhen.
Trotz der begrüßenswerten Ermöglichung digitaler Veranstaltungsformate haben wir als ver.di Bildungswerk Hessen e.V. Bedenken geäußert hinsichtlich der gänzlichen Aufhebung der Präsenzpflicht. Als Träger, der insbesondere für politische Bildung steht, wiesen wir darauf hin, dass sich Lernprozesse politischer Bildung nicht problemlos in ausschließlich digitale oder hybride Formate übertragen lassen. Denn politische Bildungsprozesse leben von Diskussionen, Erfahrungsaustausch und Begegnungen. Diese finden in Präsenzseminaren in den Arbeitszeiten statt, aber darüber hinaus auch in den Pausenzeiten oder bei gemeinsamen Mahlzeiten. Die Vorteile der Onlinekommunikation liegen auf der Hand, die Schwäche jedoch offenbart sich dort, wo die Präsenz und die physische Begegnung fehlen. Denn dort haben Menschen die Möglichkeiten durch Gesten, Mimik, Blickkontakt, Körperhaltung oder die Bewegung im Raum Signale zu senden, die originär zur zwischenmenschlichen Kommunikation gehören und elementar sind für Bildungsprozesse. Digitale Kommunikationskanäle hingegen verbleiben fast ausschließlich auf einer Sach- und Themenebene. Gerade diese persönlichen physischen Begegnungen, die Reflexion über politische Seminarinhalte und das Erproben einer demokratischen Diskussionskultur im informellen Rahmen, die durch die Seminarinhalte stimuliert werden, können unseres Erachtens in digitalen oder Hybridveranstaltungen nicht erreicht werden. Es ist zu erwarten, dass nach einem Seminartag mit vorrangig synchroner Kommunikation in Echtzeit vor dem Computer und ständiger digitaler Interaktion etwaige digitale Freizeit- und freiwillige Austauschmöglichkeiten im Rahmen eines Seminars von den Teilnehmenden nicht oder nur wenig genutzt werden. Damit würde ein qualitativ hochwertiger Teil politischer Bildung nicht realisiert werden können. Es ist zu befürchten, dass die Aufhebung der Präsenzpflicht weiter den Bereich der beruflichen Weiterbildung stärken und den Zweig der politischen Bildung weiter schwächen wird. In einem gesellschaftlichen Klima, welches die Effizienz von Arbeitsprozessen immer stärker fokussiert, lässt sich feststellen, dass Arbeitnehmer*innen bei der Auswahl von Bildungsurlauben in ihrer Entscheidung womöglich nicht ganz so frei sind und sich bei der Auswahl von dem „höher, weiter, schneller“ leiten lassen. Die Teilnahmezahlen hinsichtlich der beruflichen und politischen Bildung aus den Weiterbildungsberichten in Hessen liefern zumindest eine Vielzahl von Indizien für diese These.
Im Bereich der beruflichen Weiterbildung existiert bereits ein ausdifferenzierter Markt an Anbietern und Angeboten, die ausschließlich digital bzw. hybrid ausgerichtet sind. Auch hier gilt, dass ein rein auf Onlinekommunikation ausgerichtetes Angebot dem Anspruch eines ganzheitlichen Bildungsansatzes aus unserer Sicht nicht gerecht werden kann.
Zusammengefasst sprachen wir uns dafür aus, die Präsenzpflicht nicht gänzlich aufzuheben, da zum einen die Qualität politischer Bildung darunter zu leiden droht. Zum anderen eine potenzielle Ausweitung negativer Auswirkungen der Flexibilisierung von Arbeitszeit die Folge sein könnte und die Regelung die Vormachtstellung der beruflichen Weiterbildung weiter stärkt.